Wolfram Dorn (* 18. Juli 1924 in Altena - 17. Juni 2014 in Halver), deutscher Politiker und Buchautor. Nach dem Abschluss einer Landwirtschaftsschule sollte er nach Kamerun reisen, wurde jedoch im September 1942 zur Wehrmacht eingezogen und kam 1944 in die britische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1946 entlassen wurde.
Nach einer Ausbildung zum Industriekaufmann arbeitete Dorn im öffentlichen Dienst und wurde seit 1948 in der FDP aktiv. In den Jahren 1955-1961, 1975-1980 und 1985-1995 gehörte er als FDP-Abgeordneter dem NRW-Landtag an. Von 1961 bis 1972 war er Mitglied im Deutschen Bundestag und von 1969 bis 1972 Staatssekretär im Bundesinnenministerium.
In seiner politisch aktiven Zeit leitete Wolfram Dorn u. a. diverse Zeitschriftredaktionen und war selbst als Autor publizistisch tätig. Privat schrieb und veröffentlichte er Gedichte.
Am 1. November flogen wir nach Moskau. Unser Botschafter hatte ( … ) die in Moskau akkreditierten Journalisten deutscher Zeitungen und uns zu einem gemeinsamen Essen eingeladen. ( … ).
Der Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dietrich Möller, reichte mir einen Zettel mit der Aufschrift: „Sind Sie an einem Gespräch mit dem Schriftsteller Lew Kopelew interessiert? Wenn ja, nicken Sie nur mit dem Kopf, denn wir müssen davon ausgehen, dass dieser Raum ‚verwanzt’ ist.“
Ich bejahte meine Bereitschaft. Nach dem Essen fuhren Möller und ich zu Lew Kopelews Privatwohnung. Vor dem Haus stand ein Funkwagen, mit sechs Soldaten besetzt. Man wollte wissen, mit wem wir sprechen wollen. Möller, der durch mehrere Besuche schon bekannt war, antwortete. Ich zeigte meinen Diplomatenpass. Daraufhin öffneten sie die Haustür.
Dietrich Möller machte mich mit Lew Kopelew bekannt. Dieser wirkte sehr verärgert, weil ihm am Vormittag sein Ausreiseantrag nach Münstereifel abgelehnt worden war. Er sagte: „Da sitzen Frauen mit versteinerten Gesichtern hinter ihrem Tisch und schmeißen den Antrag einfach so hin – abgelehnt!“ Ich fragte ihn, warum er nach Münstereifel wollte. Lew erzählte mir von einem Arzt, [Friedrich Joseph Haass], aus Münstereifel, der vor vielen Jahren nach Moskau gegangen war und dort Menschen kostenlos behandelt hatte. Man nannte ihn den „heiligen Doktor“. Kopelew berichtete, er habe über ihn ein Buch geschrieben, das er in Deutschland veröffentlichen wolle.
Wir unterhielten uns mehr über Literatur als über Politik. Ich schenkte ihm meinen Lyrikband „Vergessen die Zeit“. Er las mehrere Texte, dann schaute er mir lange in die Augen und sagte: „Du hast klare und offene Augen. Dir vertraue ich.“ Dann reichte er mir einen Zettel mit folgender Bemerkung: „Bitte Hoffmann und Campe anrufen, Lektor Böckel. Der Titel meines Buches soll nicht heißen ‚Ein Leben unter Stalin’, und Stalin darf nicht auf dem Titelblatt erscheinen. ‚Aufbewahren für alle Zeit’ ist ein guter Titel.“
Lew hat mich bei unseren Gesprächen sehr beeindruckt. Wir hatten sofort Vertrauen zueinander. Ich ahnte damals nicht, dass wir zwei Jahre später in enger Freundschaft in Deutschland verbunden sein würden. Da ich mit meinem Diplomatenpass reiste, durfte mein Gepäck nicht kontrolliert werden. Lew gab mir das Manuskript eines neuen Buches mit, das bald in der Bundesrepublik veröffentlicht wurde. ( … ).
Nach Kopelews Ausbürgerung besuchten Lew und ich einander oft in Bonn und Köln. Wir vereinbarten Termine für gemeinsame Lesungen in vielen Städten und Oberstufenklassen von weiterführenden Schulen. Wichtiger war es, eine finanziell abgesicherte Position für ihn zu finden. Und Lew, voller Tatendrang, träumte von der Verwirklichung seines langersehnten Wunsches: die wissenschaftliche Erforschung deutsch-russischer kultureller Beziehungen. Als alle universitären Querelen überstanden waren, erhielt ich von Lew folgenden Brief:
Wolfram Dorn: Erlebtes Leben. Kirsch-Verlag, Nümbrecht 2009
Köln, 18. Juli 1989
Lieber Wolfram, jetzt, wo ich dabei bin, einen Geburtstagsgruß ‚schwarz auf weiß’ auszudrücken, kann ich mich nicht genau an das Datum erinnern, als Du zu uns nach Moskau kamst. Doch eines ist sicher, dass an diesem Tag eine Freundschaft ‚auf den ersten Blick’ entstand. Hier in Deutschland traf ich dich schon als einen ‚alten’ Freund.
Als ich das Manuskript von ‚Tausend Jahre sind wie der gestrige Tag’ bekam und wir zusammen mit Raja die Gedichte lasen und die Fotos sahen, war uns beiden klar – das ist ein Buch, wie für uns verfaßt, wie uns aus dem Herzen gewachsen: Worte und Bilder harmonisch vereint vom poetischen Drang, einen Weg zu finden, der über alle Grenzen zwischen Völkern, Konfessionen und Staaten hinweg zu Gottheit und Menschheit führen kann.
Vieles habe ich Dir – Deiner steten Hilfsbereitschaft zu verdanken. Doch besonders bedeutend ist für mich all das, was Du unserem ‚Wuppertaler Projekt’ entgegen brachtest und bringst. Darin vereinen sich harmonisch Deine christliche Weltempfindung, Dein Verständnis für ‚ost-westliche’ geistige Verbindungen, Dein politisches Engagement für ein freies und friedliches Haus Europa und Deine Freundschaft mit mir.
Du musst noch viele, viele Jahre gesund und produktiv leben.
Herzliche Grüße – auch für Deine liebe Familie.
Ich umarme Dich fest,
Dein Lew Kopelew
Vergessen die Zeit
Heliopolis Verlag, Tübingen 1974
Wenn die Bäume Blätter weinen
Gedichte
Karin Fischer Verlag, Aachen 1991