Lew Kopelew
Der heilige
Doktor Fjodor
Petrowitsch
Die Geschichte
des Friedrich Joseph Haass -
Bad Münstereifel 1780 -
Moskau 1853
Mit einem Vorwort
von Heinrich Böll
Hoffmann und Campe, Hamburg 1984
Lew Kopelew über Doktor Haass
Friedrich Joseph Haass wurde im Jahre 1780 in Bad Münstereifel geboren, als Sohn eines Apothekers und Enkel eines Arztes. Er studierte Philosophie in Jena und Medizin in Wien. Bald nach Beendigung der Universität behandelte er erfolgreich einen in Wien erkrankten russischen Würdenträger, Fürst Repnin. Die Familie des Fürsten überredete ihn, nach Rußland zu kommen, nach Moskau.
Im Jahre 1806 folgte der junge Haass dieser Einladung. In Moskau erlangte er bald große Volkstümlichkeit als ‚Hausarzt‘, wobei er allgemeines Erstaunen hervorrief, weil er sich selbstlos ebenso um kranke Leibeigene kümmerte wie um prominente Patienten. Bald wurde er zum Chefarzt eines Militärhospitals ernannt.
In den Jahren 1812 bis 1814 begleitete er als Arzt die russischen Truppen von Moskau bis nach Paris. Auf dem Rückwege machte er einen Abstecher nach Bad Münstereifel. Das war sein letzter Besuch in der Heimat. Er kehrte nach Moskau zurück und blieb dort bis zu seinem Tode.
In den ersten drei Jahrzehnten seines Lebens in Moskau brachte es Haass zu einem beachtlichen Vermögen. Er besaß ein Dorf mit hundert Leibeigenen, eine Tuchfabrik, ein großes Haus im Stadtzentrum. Seine schneeweißen Traber waren stadtbekannt. In den Jahren 1824 und 1825 war er der Leiter des Gesundheitsamtes für ganz Moskau. Der Generalgouverneur Fürst Golizyn bezeichnete ihn als Freund seiner Familie.
Im Jahre 1828 wurde Fjodor Petrowitsch, wie man Haass auf russische Art nannte, Mitglied des ‚Komitees für Gefängnisfürsorge‘, das auf besonderen Befehl des Zaren geschaffen worden war. Von den ersten Tagen an war die treibende Kraft des Komitees Doktor Haass. Er sorgte nicht nur für die Gefangenenkrankenhäuser, sondern nahm sich auch vieler Gefängnisinsassen an, auch der Verbannten und Zuchthäusler, die man aus verschiedenen Gegenden Rußlands über Moskau nach Sibirien trieb.
Haass schuf auch die ersten Gefängnisbibliotheken und gründete zwei Schulen für die Kinder von Gefangenen und für unbeaufsichtigte Halbwüchsige, die von der Polizei gewöhnlich schlichtweg nach Sibirien abgeschoben wurden.
Haass musste viele Widerstände überwinden, bei der Polizei, der bürokratischen Verwaltung. Man nannte ihn einen ‚outrierten Philanthropen‘ und einen ‚Sonderling‘.
Als Haass starb, begleiteten mehr als 20 000 Moskowiter den Sarg auf den ‚Deutschen Friedhof‘ – eine derartige Beisetzung hat es sonst im ganzen Jahrhundert nicht gegeben. Sogar während des Krieges, in den Jahren der Revolution und des Bürgerkrieges wurden Blumen an sein Grab gebracht. Auch jetzt finde ich jedesmal, wenn ich zu diesem Grabe komme, dessen Umzäunung mit Ketten geschmückt ist, frische Blumen. Auf dem Grabstein ist eine Devise eingemeißelt: Beeilt euch, Gutes zu tun!
Lew Kopelew: Deutsche in Moskau in Lew Kopelew: Worte werden Brücken. Aufsätze. Vorträge. Gespräche 1980-1985. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1985
Zu dieser Biographie des Dr. Friedrich Joseph Haass wurde Lew Kopelew durch die Lektüre einer Vorlesung des St. Petersburger Professors Anatolij Koni angeregt.
Widmung
21. Juni 1985
(der längste Tag)
Für Töchterchen
noch ein –
hoffentlich nicht das letzte –
Buch, das es ohne
Dich nicht gegeben hätte.
Lasse uns nicht
traurig sein!
Dein
klappriger,
klappriger
L.